1. Studientag des Arbeitskreises Niederländische Kunst- und Kulturgeschichte e.V. (ANKK)
Donnerstag, 5. Februar 2015, Rheinische Friedrich Wilhelms Universität Bonn, Kunsthistorisches Institut.
Am 5. Februar 2015 luden Prof. Dr. Karin Leonhard und Sandra Hindriks M. A. vom Kunsthistorischen Institut Bonn erstmals zum ANKK-Nachwuchsstudientag ein, der sich dezidiert an Masterstudierende und Promovierende richtete. Anlass dazu war die vom 2.-4. Oktober 2015 in Bonn und Köln stattfindende internationale Konferenz „Methodik zwischen Theorie und Praxis. Historische und aktuelle Ansätze in der niederländischen Kunst und Kulturgeschichte" des „Arbeitskreises Niederländische Kunst- und Kulturgeschichte".
Dabei lag das Hauptaugenmerk dieses Nachwuchstages darauf, nicht nur das eigene Forschungsvorhaben und die gewählte theoretische sowie methodische Herangehensweise vorzustellen, sondern auch diese im kunsthistorisch-methodischen Diskurs des 20. und 21. Jahrhunderts zu situieren. An die 15minütigen Kurzvorträge der Referentinnen schlossen sich auf deren Methodik bezogene Diskussionsrunden an, aber auch zwei Lektürekreise, in denen im Vorfeld zur Verfügung gestellte Texte von beispielsweise Erwin Panofsky, Otto Pächt oder Svetlana Alpers besprochen wurden. Somit hatten acht Referentinnen die Gelegenheit, ihre Arbeit unter rein methodischen Gesichtspunkten mit einem kleinen, geschlossenen Kreis von interessierten KollegenInnen auf gleicher Augenhöhe zu diskutieren.
Dabei profitierte die Diskussion von der Themenvielfalt der vorgestellten Arbeits- bzw. Forschungsvorhaben. So untersucht Maria Harnack (Westfälische Wilhelms-Universität Münster) in ihrer Promotion die soziologischen Grundlagen des niederländischen Romanismus. Innerhalb ihrer Arbeit legt sie den Fokus nicht auf die Erforschung der Ausprägungen der Italienorientierung in der niederländischen Kunst des 16. Jahrhunderts, sondern auf die Mechanismen des Kulturtransfers. Hierfür wendet sie die historisch-kritische Methode, die auf die Berliner-Schule von Carl Friedrich von Rumohr und Gustav Friedrich Waagen zurückgeht, an. Diese Methode hat an ihrer Alma Mater eine lange Tradition. In Münster war eine Betonung des Quellenstudiums schon früh großer Bestandteil der Methodendiskussion und wird noch bis heute praktiziert. Harnacks Untersuchung zum niederländischen Romanismus zeigt unter anderem, dass die vereinfachte Meinung, die niederländischen Künstler reisten um zu sehen und zu lernen, bei einem näheren Blick nicht standhalten kann. Durch das Quellenstudium zu beispielsweise Künstleraussagen über deren Italienreise gelangt sie so zu einem neuen, komplexeren Bild der Rombegeisterung im 16. Jahrhundert.
Katharina Toto Hiery (Ludwig-Maximilians-Universität München) hingegen hat einen vom Bild ausgehenden Ansatz, indem sie der Frage nachgeht, wie das Bild und der Maler im zeitgenössischen Geschichtsdiskurs zu verorten sind. Erst im 16. Jahrhundert beginnt eine Unterscheidung zwischen „fiktiver" und „faktueller" Geschichtsschreibung sichtbar zu werden, was sich unter anderem an der Integration des Malers in seinen Bildern äußert. Der Maler wird als „Augenzeuge" zum pictor historicus. Anhand von Werken des Haarlemer Künstlers Maarten van Heemskerck rekonstruiert Hiery den Zusammenhang zwischen Bildproduktion und Überlieferung sowie Geschichtlichkeit. Heemskerck, so ihre These, verortete sich mit seinen eigenen Bildwerken in den antiquarisch-humanistischen bzw. humanistisch-historischen Diskursen seiner Zeit. Somit interpretiert sie das Bild nicht nur als mögliche theoretische Äußerung des Künstlers, sondern auch als eine künstlerische Selbstinszenierung, angelehnt an den von Stephen Greenblatt 1980 erstmals formulierten Begriff des „self-fashioning". Im Mittelpunkt ihrer Promotion steht das Kunstwerk an sich: Zunächst behandelt Hiery dessen spezifische visuelle Darstellungs- und Erscheinungsformen in Bezug auf Form und Inhalt. Daran schließt im zweiten Schritt eine Einbettung in den zeitgenössischen Dirskurs an.
In ihrer Masterarbeit stellt sich Andrea Kulbatzki (Universität Bonn) die Frage, ob das zwischen 1686 und 1710 entstandene Puppenhaus der Petronella Oortman als glaubwürdiges Abbild oder doch eher als Idealvorstellung eines gut situierten holländischen Wohnhauses aus dem 17. Jahrundert bewertet werden kann. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden in Amsterdam Puppenhäuser für eine kleine Gruppe wohlhabender Frauen hergestellt. Petronella Oortman ließ ihr Puppenhaus nicht wie die anderen in Form eines kleinen Hauses, sondern als Vitrinenschrank gestalten - wie ein weibliches Pendant zum männlichen Kuriositäten-Kabinett. In der kunsthistorischen Forschung wird Petronellas Puppenhaus immer wieder als Stütze und Quelle verschiedenster Thesen, ob nun mit Fokus auf Gender-Studies oder Kulturgeschichte, verwendet. Die Masterarbeit legt hingegen die Aufmerksamkeit innerhalb der Frage nach Authentizität insbesondere auf die Raumaufteilung sowie die Wandgestaltung. Des Weiteren vergleicht Kulbatzki diese mit zeitgenössischen Architekturtraktaten, Genrebildern und teilweise heute noch erhaltenen Wand- und Deckengestaltungen. Somit könnte man Kulbatzkis Vorgehen als Anlehnung an den methodischen Ansatz von Peter Burkes „Augenzeugenschaft. Bilder als historische Quellen" von 2001 sehen.
Gitta Bertram (Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart) beschäftigt sich in ihrer Doktorarbeit mit den von Peter Paul Rubens gestalteten Titelblättern. Der Fokus liegt dabei auf der Frage, wie Titelblätter zu Bedeutungsträgern werden: was sie transportieren und wie sie das tun. Über eine systematische Erarbeitung des frühneuzeitlichen Bildverständnisses, mit seinen spezifischen Ausprägungen was Titelblätter angeht, wird sie einen Bedeutungsrahmen abstecken in dem man diese Blätter lesen kann. Dabei soll das Zusammenspiel von Wort und Bild berücksichtigt werden. Da der Kontext, in dem Titelblätter produziert und konsumiert werden, noch unzureichend erforscht ist, wird auch dieser Teil der Arbeit sein: so wird die Interpretation der Bilder in einem Dreieck aus sozial-historischen Zusammenhängen, inhaltlich-ikonografischen Fragen und dem bildlichen Ausdruck fest verspannt sein.
Dem möglichen Einfluss der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts auf die Gemälde Ernst te Peerdts, ein Vertreter der Düsseldorfer Malerschule, widmet sich die Masterarbeit von Bianca Wiesen (Universität Bonn). Insbesondere in te Peerdts Stillleben zeigt sich eine Verbindung zur Tradition des „Gedeckten Tisches" und des „Bankettstückes". So greift te Peerdts auf kompositorische Elemente der niederländischen Meister des 17. Jahrhunderts zurück, wie den im Oval angeordneten Gegenständen, die sich teilweise überschneiden, jedoch nicht überdecken. Dieser augenscheinliche Hollandismus der Düsseldorfer Akademie um 1900 fußt auf die dort bevorzugten Gattungen Landschaft und Genre, die besonders in den Niederlanden eine weite Verbreitung gefunden hatten. Daher reisten viele Vertreter der Düsseldorfer Malerschule, so auch te Peerdt, in die Niederlande, um die Gemälde der alten Meister in den dortigen Museen und die Landschaft zu studieren. In ihrer Masterarbeit legt Wiesen das Hauptaugenmerk insbesondere auf die bei tePeerdt immer wieder auftretenden Gegenstände und setzt diese in Verbindung mit Details aus Genre- und Stilllebengemälden des 17. Jahrhunderts. Te Peerdt jedoch übernimmt nicht einfach tradierte Gegenstände, sondern übersetzt seine Motive in eine moderne Sprache.
Die Visualisierung von Wissen anhand von Darstellungen mathematischer bzw. astronomischer Instrumente auf Stillleben, Porträts und Genredarstellungen in der Zeit der wissenschaftlichen Revolution ist Thema der Promotion von Janina Modemann (Universität Trier). Ihre Interpretation dieser Gemälde rückt Wissenschaft, wissenschaftliche Erkenntnis und Wissen an sich in den Vordergrund. Insbesondere in der Stilllebnmalerei, die im Fokus der Promotion steht, nehmen detailgetreue Darstellungen wissenschaftlicher Instrumente ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu. Einer möglichen Überinterpretation solcher Wissenschaftsstillleben durch das Entziffern der Symbole in ihrer moralischen Bedeutung weicht Modemann aus, indem sie die Lebenswelt der Künstler in ihre Interpretation miteinbezieht. Unter Berücksichtigung von kulturhistorischen Entwicklungen stellt sie die Frage, inwiefern diese Entwicklungen in der Kunst ablesbar sind. Der Begriff Wissen muss folglich weiter und anders eingegrenzt werden: durch Bezugnahme auf den Wissenssoziologen Gernot Böhme, kann sie zeigen, dass Künstler in diesen Bildern nicht nur Expertenwissen in ihre Kunst integrieren, sondern durchaus an diesem beteiligt waren.
Anhand der sogenannten Haarlemer Schule stellt Elsa Oßwald (Universität Trier) in ihrer Promotion die Frage, wie sich das Bild einer unter geografischen Gesichtspunkten als Einheit interpretierten Künstlerschaft manifestiert, welchen Zäsuren oder Änderungen dieses Bild im Laufe der Zeit unterliegt und wie dieses wissenschaftlich einzuordnen ist. Dabei vergleicht sie in einer inhaltsanalytischen Untersuchung frühneuzeitliche Künstlerbiografiken miteinander. Diese empirische Methode zur systematischen nachvollziehbaren Beschreibung inhaltlicher und formaler Merkmale von Mitteilungen ist vordergründig für die Analyse von Texten in den Medien- und Kommunikationswissenschaften entwickelt worden. Mit der Gegenüberstellung der Künstlerviten werden zeitgenössische Texte auf die Existenz einer durch bestimmte Spezifika verbundenen Gruppe Haarlemer Kunstschaffender geprüft. Ziel der Arbeit ist es, das in den Mustern Aufstieg-Blüte-Verfall argumentierte Geschichtsmodell, das der kunsthistorischen Epochengliederung zugrunde liegt, und die damit verbundenen engen Grenzen einer möglicherweise einzig identitätsstiftenden Kunstgeschichte in Frage zu stellen.
Berlinda Maria Bakker (Universität Bonn) arbeitet in ihrer Masterarbeit mithilfe einer ausführlichen Bildanalyse und einem anschließenden Bildvergleich über den Einfluss von Ernst Ludwig Kirchner auf den Niederländer und Mitbegründer der Groninger Künstlergruppe De Ploeg Jan Wiegers. Vor allem die expressionistische Farbverwendung steht, unter Berücksichtigung neuer Studien zu Kirchners Farben, im Mittelpunkt des Vergleichs. Werke beider Künstler aus den Jahren 1920-1927 werden in Bakkers Arbeit in Augenschein genommen. Sie versucht dabei zu erschließen, ob den Werken eine von Kirchner entwickelte Farbtheorie zugrunde liegt. Da keine Aufzeichnungen über das gemeinsame Schaffen der beiden Künstler in Davos überliefert sind, wird sich diese Analyse allein auf die Gemälde beziehen. Bei dieser Analyse fällt auf, dass sich der Austausch zwischen den beiden Künstlern zum einen in der Verwendung ähnlicher Bildmotive zum anderen in einem vergleichbaren Einsatz der Bild- und Formensprache äußert.
Die Vorträge und die Lesezirkel ergänzten sich hervorragend: schon die ersten Themen zeigten Schwerpunkte, die später in den folgenden Lektürekreisen wieder aufgegriffen wurden. Vielleicht kam diese einwandfreie Verzahnung auch durch die Vielzahl der verschiedenen Ansätze der einzelnen Referentinnen besonders zur Geltung. In den an die Vorträge anschließenden Diskussionen sowie auch in den Literaturzirkeln wurden die einzelnen Ansätze von der Gruppe kritisch hinterfragt. Der Sinn und die Bedeutung der verschiedenen Epochen- und Ländergrenzen wurden genauso diskutiert, wie die Schwellensetzungen in den einzelnen Arbeiten. Wiederholt betont wurde, dass neben akribischem und kritischem Quellenstudium auch die Diskussion zwischen den Bildern nicht untergehen dürfe. Das Medium als solches sollte ernst genommen werden und auch ästhetisch begutachtet werden, da die Bildaussage sich mit der Darstellungsweise durchaus wesentlich ändern könne.
Die Gegensätze, die von Svetlana Alpers in der niederländischen Kunstgeschichte aufgetan wurden, narrativ vs. deskriptiv, italienisch gegen nordalpin, kamen vor allem in den Lesezirkeln wiederholt zu Sprache. In den Diskussionen wurde aber deutlich, dass von Gegensätzen - vor allem in der heutigen Methodenvielfalt - keine Rede mehr sein kann. Dennoch hat Alpers durch ihre Provokation die niederländische Kunstgeschichte wesentlich erweitert; selbst bei einem dezidiert ikonografischen Ansatz kann man heutzutage kaum die Beschaffenheit der Gemäldeoberfläche unbeachtet lassen. Heute funktionieren die von Alpers aufgemachten Gegensätze eher als duales System denn als Polarität.
So orientierten sich die vorgestellten Themen der einzelnen Masterarbeiten und Promotionen an einer Vielfalt an methodischen Ansätzen, eine Beschränkung auf eine einzige Methodik wurde meist als nicht ausreichend angesehen. Des Weiteren fiel auf, dass die bis heute angewandten Methoden der niederländischen Kunstgeschichtsforschung hauptsächlich Ende des letzten Jahrhunderts diskutiert wurden und deren Ursprungstexte bereits mehrere Jahrzehnte alt sind. Allgemein vermisst wurden aktuelle Stellungnahmen zur Methodendiskussion. Augenblicklich fehlt der Kunstgeschichte beispielsweise ein methodischer Ansatz, der sich dezidiert mit der Farbe und ihrer Wirkung sowie ihrem Interpretationsspektrum beschäftigt. Allgemein fiel auf, dass die Auswahl der Texte, die man an Universitäten kennenlernt und die bis in die Gegenwart in Methodenreadern veröffentlicht oder als Grundlage der Kunstgeschichte gewertet werden, überwiegend Mitte des letzten Jahrhunderts publiziert wurden. Daher wurde der Wunsch geäußert, intern eine Sammlung aktueller methodischer Texte anzulegen, die von den Vorschlägen der Mitglieder lebt und aktualisiert wird.
von Janina Modemann und Gitta Bertram
Programm des Studientages am 5. Februar 2015:
- Maria Harnack (Westfälische Wilhelms-Universität Münster)
Dissertationsthema: Soziologische Grundlagen des niederländischen Romanismus. - Katharina Toto Hiery (Ludwig-Maximilians-Universität München)
Dissertationsthema: Maarten van Heemskerck, pictor historicus. Das Bild im Geschichts- und Überlieferungsdiskurs des 16. Jahrhunderts. - Andrea Kulbatzki (Universität Bonn)
Thema der Masterarbeit: Das Puppenhaus der Petronella Oortman - Kunstwerk und Quelle? - Gitta Bertram (Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart)
Dissertationsthema: Titelblätter von Peter Paul Rubens. - Bianca Wiesen (Universität Bonn)
Thema der Masterarbeit: Auf niederländischen Spuren. Der mögliche Einfluss der niederländischen Malerei des Goldenen Zeitalters auf die Gemälde Ernst te Peerdts. - Janina Modemann (Universität Trier)
Dissertationsthema: Visualisierung von Wissen und Wissenschaft in der bildenden Kunst der Niederlande während der Wissenschaftlichen Revolution. - Elsa Oßwald (Universität Trier)
Dissertationsthema: Die Künstler Haarlems. Zur Rezeptionsgeschichte der Haarlemer Malerschule während des Goldenen Zeitalters mit besonderem Fokus auf die Vitenliteratur des 17. und 18. Jahrhunderts. - Berlinda Maria Bakker (Universität Bonn)
Thema der Masterarbeit: Die Farbe als expressionistische Ausdruckskraft. Ein verbindendes Element zwischen Ernst Ludwig Kirchner und Jan Wiegers.